Initiation in die Grundlagen der Kryptogeographie


Islandkarte von Abraham Ortelius, Antwerpen 1585
Islandkarte von Abraham Ortelius, Antwerpen 1585


Die Kryptogeographie ist eine markante, wenn auch wenig bekannte und noch weniger exakte Wissenschaft. Der Begriff leitet sich ab von «kryptos» (altgriechisch κρυπτÏŒς kryptós‚ verborgen, geheim) und «Geographie» (auch «Erdkunde», altgriechisch γεωγραφία geographia).

Die Kryptogeographie beschäftigt sich also mit verborgenen und geheimen Dingen auf und in der Erde und um die Erde herum. Daraus ergibt sich leider auch die Frage nach der Existenzberechtigung dieser Wissenschaft: indem der Kryptogeograph nämlich die versteckten Kalamitäten aufdeckt und beschreibt (erklären kann er sie freilich nicht), bleibt letztlich nur eine miserabel poröse Geographie übrig, die der nicht-kryptischen Geographie an Präzision um Meilen nachsteht. Der Kryptogeograph darf sich davon jedoch nicht beirren lassen. Im übrigen ist auch nicht zu erwarten, dass er sich zeitlebens nur mit Phänomenen befassen wird, die sich auf oder in der Erde oder um die Erde herum tummeln. Aber er würde sich deshalb niemals anmassen, sich auf Vorrat Kryptokosmograph oder gar Kryptoholograph zu schimpfen.

Das wesentliche Merkmal der Kryptogeographie ist neben einer selektiven Respektlosigkeit ihre exzessive Unökonomie. Oder wurde durch Sparen und Reduzieren schon jemals etwas interessanter, intelligenter, liebevoller, lachreizender, unvollkommen schöner? Als vielleicht einzige der zeitgenössischen Undenkschulen hat die Kryptogeographie erkannt, dass alles, alles andere als schlicht alles, üppigster Verschwendung unterliegt und obliegt. Die Kryptogeographie, und das verdankt sie natürlich ihrem Gegenstand, dem sie ihre Form anpasst, ist opulent, arabesk, barock, ornamental, oriental, knorrig und verzworgelt. Sie biegt sich geschmeidig unter all dem wuchernden Firlefanz und hisst mit zitternden Forscherfingern demütig die weisse Flagge im Angesicht der ganzen schillernden Haken und ausgefransten Ösen, die sinnlos nichts zusammenhalten. Die Kryptogeographie artet aus wie der Kongo, der ursprünglich als Gärtchen oder Pärkchen zwecks Lustwandlung gedacht war und dann aus dem Ruder lief. Diese Wissenschaft hantiert ohne die dazu notwendige Kompetenz mit Volumen, denen kein Container gewachsen ist, mit Tonnagen, die kein Postschiff zu bunkern vermag. Der Kryptogeograph weiss sich nicht zu helfen und schwitzt wie ein Tier, blutet aus vielen Wunden, Tränen brechen ihm aus allen Löchern. Weiter im Text türmt er immer originellere Errata auf, tritt in die noch unerforschten Fettnäpfchen und erklärt in immer neuen Girlanden, was er selber eigentlich auch nicht versteht, aber umso stürmischer liebt. Selbstverständlich ist kein Forschungsgebiet wichtiger oder dringlicher zu bearbeiten als ein anderes; der Kryptogeograph ist diesbezüglich allein seiner Neugier und Lust verpflichtet.

Ein kryptogeographisches Motto lautet:
Das Gute liegt nie nah! Es ist vielmehr sehrweither geholt.

Und ein anderes:
Bahnhof ist die einzige Sprache, die ich verstehe.

Oder wieder ein anderes:
Nichts habe ich gelernt; bin stets auf der Flucht vor Abschieden und nehme noch immer jedes Willkommen ernst.


Das bisher einzige Standardwerk der Kryptogeographie, Man nehme Silber und Knoblauch, Erde und Salz (bilgerverlag 2011), bietet einen allgemein-vagen Abriss dieser ewig in den Greisenschuhen steckenden Disziplin. Ein zweites Standardwerk ist in Arbeit.